(m.o.n.d.) geschichten

Folt

Ich hatte Mike und sein Lufttaxi für den späten Vormittag bestellt. Obwohl etwas in mir wusste, dass ich mich früher oder später mit den Veränderungen um mich herumbeschäftigen musste, hatte ich im Moment nicht die geringste Lust dazu. Ich war gekommen, um die Dinge des Planeten enzyklopädisch zu erfassen und ansonsten wollte ich meine Ruhe haben. Ich hatte nicht vor, mir meine neu gewonnene Autonomie durch ungebetene Rätsel einschränken zu lassen. Trotzdem bat ich Mike nach seiner Ankunft in die Kapsel und zeigte ihm die Silber-Wörter. „Wo haste die denn her, Süße?“, fragte er. Ich berichtete ihm von dem Fundorten am Wechselfarbenwald und in der Felsenhöhle. „Komm’ mir nicht mit so nem Bedeutungszeug, Süße, das ist was für studierte Datenschlucker!“ Mike zeigte mir mit einem seiner acht Arme einen Vogel, während ein anderer meinem Nahrungsreplikator eine Banane entlockte. „Schon gut“, sagte ich, „Aber Du kommst doch viel herum, oder?“, sagte ich und warf ihm einen Blick zu, der seiner Eitelkeit schmeicheln sollte. „Darauf kannste wetten, Süße!“, brüllte der Oktant. „Kannst Du dich nicht mal umhören, während Du deine Touren fährst? Vielleicht erfährst Du ja etwas“. Ich warf ihm den lieblichsten Schmollblick zu, den ich angesichts seiner dicklichen Präsenz zustande brachte. „Jaja“, grummelte der Oktant, der das Spiel durchschaute. „Ich mach’s ja, ich mach’s ja. Verdammte Weiber!“ Nachdem Mike eine zweite Banane verspeist hatte, schlenderten wir zum Lufttaxi und ich bat ihn, mich Richtung Meer zu fliegen. Während des Fluges plauderte wir ein wenig über den Planeten. Mike erzählte mir, dass ca. 30% der Einwohner Oktanten wie er waren, 40% waren Humanoide, 10% Ripalier und die restlichen 20% ein Gemisch aus allen möglichen Rassen. Die Ripalier waren nach dem letzten intergalaktischen Krieg hierher geflohen. Sie waren circa dreiviertel so groß wie Menschen, von echsenartiger Gestalt, aufrecht gehend, mit einer dunkelgrünen Hautfarbe. Sie waren bekannt für ihre Fähigkeit, die Gedanken anderer Species zu lesen. Ich hatte viel über sie gelesen, war ihnen aber noch nie begegnet. Mike landete das Lufttaxi an einem kleinen Hafen und wir verabredeten, dass er mich in drei Stunden wieder abholen würde. Das Meer war von dunkeltürkisner Farbe und an den Hafen grenzte ein Strand mit feinem, lilafarbenen Sand. Ich zog meine Schuhe aus und steckte meine Füße in den Sand. Der Sand war warm und angenehm. Ich entdeckte eine Reihe interessanter herzförmiger Muscheln, die mit Ausnahme eines roten Punktes komplett schwarz waren. Ich sammelte ein paar und setzte mich dann in den Sand und beobachtete das Meer. Vor der Küste schwammen bunte Boote wie Nusschalen und Lufttaxis kreisten am Himmel. Aus einiger Entfernung näherte sich mir ein Ripalier, der am Wasser entlang spazierte. Er trug eine hochgekrempelte Hose und einen freien Oberkörper. Schön, dachte ich. „Ja?“, fragte der Ripalier spöttisch als er mich erreicht hatte und hob dabei eine Augenbraue. Ok, sie konnten offensichtlich nicht nur Gedanken lesen, sondern sie konnten es auch aus einiger Entfernung. Frech setzte er sich neben mich in den Sand und sah mir tief in die Augen. Seine Haare waren vom Wind zerzaust und er grinste mich unverschämt an. „Folt, ich heiße Folt.“ Ich lachte ob der Dreistheit und schüttelte den Kopf als würde ich davon aufwachen. „Ich würd dich sehr gerne lieben, aber Du willst nur den Steinkrieger“, sagte er und spielte mit einem kleinen Stück Holz, das er aus dem Sand genommen hatte. Mir fiel alles aus dem Gesicht und ich öffnete ungläubig den Mund. Zurückhaltung war offensichtlich nicht die hervorstechendste Eigenschaft der Ripalier. Folt stand auf, wischte sich den Sand von den Beinen und sagte: „Nimm den Bogen und versuche sein Herz zu treffen. Das Steinherz zu treffen. Viel Glück damit!“ Er grinste spöttisch und warf mir einen eindringlichen Blick zu. So schnell wie er gekommen war, verschwand er auch wieder. Verwirrt griff ich nach den gesammelten Muscheln, stand auf und machte mich auf in Richtung Hafen.

Am Hafen stieß ich auf eine Reihe kleiner Markstände, die in Form bunter Buden das Hafenbecken säumten. An den Seitenwänden war jeweils ein Monitor eingebaut, auf denen Slideshows der zu erstehenden Produkte liefen. Der erste Stand war offenkundig ein Fischstand. Fasziniert blieb ich davor stehen, denn ich sah eine Reihe von Fischen, die ich noch nie gesehen hatte, darunter ein runder Kugelfisch mit langen, bunten Stacheln. Am Nebenstand verkaufte ein Oktant Schmuck. Ich erstand einen blauen Ring mit eingebautem Kommunikator samt Chronik des Planeten. Letztere interessierte mich besonders, hoffte ich hiermit ein paar Fragen beantwortet zu bekommen. Gegenüber befand sich eine Art Gemüsestand. Auch hier konnte ich meinen Blick nicht von den Auslagen wenden. Oben auf lag eine t-förmige rote Frucht mit orangenen Streifen, daneben eine gelbe v-förmige mit roten Punkten. Ich wollte gerade nach einer Frucht greifen, da sah ich, dass sich Folt ebenfalls auf dem Markt aufhielt. Er stand zwei Stände weiter und prüfte eine Reihe Stoffe. Ohne etwas zu kaufen entfernte er sich und ich gab dem Impuls nach, ihm zu folgen. Er bog in eine kleine Ansammlung von Häusern ein und steuerte dort direkt auf eine Kneipe zu. Ich zögerte, weil ich nicht wusste, ob ich ihm folgen sollte. Anderseits dürfte er meine Anwesenheit längst bemerkt und meine Gedanken bereits gelesen haben. Er trug jetzt ein rotes Hemd, dessen obere drei Knöpfe geöffnet waren. Ich ging an die Theke und bestellte mir einen Whiskey und versuchte desinteressiert aus dem Fenster zu schauen. Zu meiner Überraschung beachtete er mich aber überhaupt nicht. Stattdessen setzte er sich an das in der Ecke stehende Luft-Klavier und spielte eine nicht mal schlechte Version von „Genossene No. 1“. Ich fühlte mich plötzlich unwohl in meiner Haut und beschloss, die Kneipe zu verlassen. Auf den Markt zurück gekehrt, lief mir Mike direkt in die Arme. In jeder seiner acht Arme hatte er eine andere Einkaufstüte und ich wagte nicht zu fragen, was er eigentlich alles gekauft hatte. Wir luden das Luft-Taxi voll und sahen zu, dass wir nach Hause kamen. In der Kapsel übertrug ich als erstes die Chronik von dem Ring auf den Bord-Kommunikator, weil mir das zum Lesen komfortabler erschien. Ich machte mir einen Tee und begann mit Kapitel 1.