(m.o.n.d.) geschichten

Der Bogen

Gestern Morgen flog wieder eines der silbrigen Flugtaxis am Horizont vorbei und ich musste langsam der Tatsache ins Auge blicken, dass ich nicht alleine war. Der Bordcomputer verriet mir, dass sich ca. vier Kilometer nördlich des Sees die ersten Ausläufer der Nord-Stadt befanden. Dort befand sich eine Ortschaft mit sechshundert Häusern, die sich Kapatuckel nannte. Ich zog in Erwägung, dort hin zu gehen, vor allem, weil ich Waffen benötigte. Die Energiestrahler hatten den Flug nicht überlebt und seit der Begegnung mit dem Steinkrieger fühlte ich mich nicht mehr sicher. Da meine Abneigung zu sprechen aber immer noch groß war, machte ich mich daran, die einzige Waffe zu bauen mit der ich mich auskannte: Einen englischen Langbogen. Das Holz hierfür holte ich aus dem Wechselfarbenwald und der Nahrungsreplikator lieferte mir nach einigem Gezicke eine Bogensehne und tannengrün gefärbtes Wildleder. Zunächst fertigte ich die beiden Wurfarme aus Holz, dann das Mittelstück, das Verbindung und Griff war. Ich ließ mir Zeit und verzierte den Griff mit einer Schnitzerei in Form einer Meerjungfrau. In deinem letzten Leben warst Du ein Fisch, sagt meine Mutter. Anschließend arbeitete ich eine Pfeilauflage ein und feilte drei Zentimeter von den Spitzen entfernt die Kerben für die Bogensehne. Zum Schluss spannte ich die Sehne und verkleidete den Bogen mit Wildleder. Mir war klar, dass der Langbogen viel zu unhandlich war, um mich schnell verteidigen zu können, und so fertigte ich einen zweiten, einen kleinen Reiterbogen.. Hierbei verwendete ich ebenfalls Holz statt Horn. Ich stellte Pfeile aus Spaltholz her, das ich zuvor über dem Feuer trocknete und mit den eingesammelten schwarz-braunen Federn des Echsenvogels befiederte. Ich schoss zunächst auf nichts lebendiges. In einigen Metern Entfernung platzierte ich alles an altem Gerümpel, was ich in der Kapsel finden konnte und zielte darauf. Als ich einigermaßen treffsicher war, kippte ich die Silber-Wörter aus dem Samtbeutel, füllte ihn mit den Pfeilen, legte den Bogen über die Schulter und machte mich auf in Richtung Wechselfarbenwald. Ich spürte eine seltsame Erregung in mir. Ich war daran gewöhnt zu fischen, aber gejagt hatte ich noch nie. Ich stieg den Steilhang hinab und versteckte mich hinter einem mächtigen Baumstamm und verharrte ganz still. Nach zehn Minuten erblickte ich ein katzenartiges Tier mit dunkellila Fell, das in ca. fünf Meter Entfernung zwischen den Baumstämmen verweilte, um scheinbar eine Grube zu graben. Geräuschlos entnahm ich dem Beutel einen Pfeil und setzte zum Schuss an. Eine warme, wohlige Welle von Kraft durchfloß meinen Köper als der Pfeil geräuschlos durch die Luft glitt. Das Tier war auf der Stelle tot. Ich fühlte mich groß. Ich fühlte mich mächtig. Ich steckte die Arme gen Himmel, fletschte die Zähne und gab einen kehligen Laut von mir. Als ich das Tier über meine Schulter warf, lachte ich. Ich hatte mich lange nicht so gut gefühlt. Vor meinem inneren Auge entstand das Bild einer weiteren Wildkatze, die ich mit bloßen Händen griff und würgte. Das Tier schrie und wand sich. Doch je mehr es sich wand, desto fester drückte ich zu, desto mehr verkrampften sich meine Finger, desto mehr steigerte sich in mir das.. das… ich hatte kein Wort dafür.

Später: Etwas passiert mit mir. Das geht so nicht weiter. Ich muss mich zusammen nehmen. Ich habe einen Ablaufplan der nächsten Tage erstellt. Morgen: Aufnahme weiterer Pflanzen und Tiere, Schwerpunkt Pflanzen. Übermorgen: Aufnahme weiterer Pflanzen und Tiere, Schwerpunkt Tier. Überübermorgen: Erkundung des Weges zur Ortschaft Kapatuckel. Und: Ich werde morgen nach Hause schreiben. Diese Isolation kann nicht gut sein.