Umgebungskarte
Ich sah sie jedem Mittag von Westen über das Blauschiefermassiv fliegen und heute wollte ich erkunden, wohin die Reise der Echsenvögel ging. So machte ich mich auf und lief den Bach diesmal die andere Richtung entlang. Da das Wasser kühl und angenehm lockte, zog ich meine Schuhe aus und schlenderte durch das Bachbett. Die Sonne schien unaufgeregt und freundlich während kleine Blumen am Rande des Baches in weichen Luftströmen nickten. Nach einer Viertel Stunde kam ich, früher als angenommen, an mein Ziel. Inmitten einer Wiese mit moosigen Steinen stand ein wuchtiger, alter Baum mit einer mächtigen Krone. In ihm saßen hunderte von Echsenvögeln, dicht an dicht gedrängt. Sie rempelten einander an, verdrängten sich von Zeit zu Zeit, so dass der ganze Baum eine einzige Bewegung zu sein schien. Links neben dem Baum stand in fünf Meter Entfernung eine Staue aus dunkelgrauem Marmor; die eines nackten Kriegers mit mittellangem Haar. Er übte eine eigentümliche Präsenz auf die Umgebung aus. Ich trat näher an ihn heran und wurde gleichzeitig wie in einem Sog von ihm angezogen und abgestoßen. Der Krieger verströmte Kraft und war von atemberaubender Schönheit, so dass etwas in mir nachgeben wollte. Etwas wollte, dass er mich packt. Etwas, wollte, dass ich mich in ihm auflöse. Dann sah ich seinen Blick. Die Augen waren hart und kalt und unerbittlich. Mein Atem stockte und ich wollte rennen. Um mich herum erfüllten die wilden Schreie der Vögel die Luft. Dreh dich um. Dreh dich langsam um und tue einen Schritt. Einen Schritt nach dem anderen. Du darfst nicht rennen. Rechts, links, rechts, links. Halte Dich an deinem Beutel fest und geh. Geh. Was immer es war: Dieser Krieger darf niemals zum leben erweckt werden. Niemals. Ich spürte seinen Blick im Nacken während ich mich entfernte. Je weiter ich von der gespenstischen Szene weg kam, desto einfacher wurde das atmen. Nach einiger Entfernung löste sich der Druck in der Brust und ich tat ich einen kleinen Sprung - befreit! Ich stieg wieder in den Bach. Wie ich zurück kommen sollte, wusste ich nicht, aber das war egal. Ob er der Herr dieser Vögel war? Irgendetwas berührte mich am Fuß und ich zuckte zusammen. Ich sah an mir herunter und dort schwamm ein Schwarm großer, silbrig grüner Fische. Ich griff mit der bloßen Hand hinein und hielt einen in die Luft. Er war lang und schlank und hatte vier Augen. Ich war diesmal schlauer gewesen und hatte das Analysegerät eingesteckt. Der Fisch schien genießbar zu sein. Ich nahm ihn an Ort und stelle aus, jedenfalls so, wie es mir anatomisch sinnvoll erschien und grillte ihn auf einem Feuer aus gesammelten Ästen. Sein Fleisch war hellblau und zart. Nach dem Essen untersuchte ich die Wiese genauer. Sie war größtenteils von Gras und kleinen Blumen bewachsen. Auffällig erschien mir ein kleiner Strauch, dessen Stamm kakteenartig wirkte und der Blüten in drei Farben hatte: gelb, flieder und himmelblau. Die Blüten dufteten süßlich, vielleicht ein wenig wie Orangen. Ich werde ihn Tricolore Trictrac und die Fische Poissons viande bleu nennen. Der Krieger hat keinen Namen. Er existiert außerhalb des Sagbaren.
Später: Ich habe eine erste Umgebungskarte gezeichnet. Man darf nicht den Überblick verlieren.