Pling
Dixit insipiens in corde suo: Non est Deus“ („Es spricht der Narr in seinem Herzen: Es gibt keinen Gott“)
Mit einem „Pling“ fiel sie aus der Hosentasche. Ich hatte sie vor Jahren auf einem Trödelmarkt im Stadtkern der Nebenstadt erworben. Eine kleine, kupferne Schelle. Irgendwo zwischen Hosentasche und Hosenfutter hatte sie ihr Dasein als Blinder Passagier geführt, war jetzt durch eine derbe Bewegung ans Obere gelangt und begrüßte mich mit einem „Pling“. Die Bord-Enzyklopädie klärte mich auf: Narren sind jene „Figuren, die als sozial und geographisch heimatlos gelten und in der Welt umherirren, ohne von jemandem Anerkennung zu erhalten; noch in irgendeine gemeinschaftliche Gruppe aufgenommen werden.“ Und da sie vom „Pling“ begleitet wurden, wussten alle dem Ohrenschein nach, wen sie da vor sich hatten. In einer neuen Umgebung kann das nur recht und billig sein. So fädelte ich die Schelle auf ein dünnes Lederband und band sie mir um das rechte Fußgelenk. Erst war ich unsicher, ob dies Auswirkungen auf meine Tier-Beobachtungen haben würde, aber wer sagt mir denn, dass es nicht auch Tiere gäbe, die ein „Pling“ bzw. „Plingelingelingeling“ zu schätzen wüssten?
Ich bereitete alles für eine Wanderung vor. Aus dem Nahrungsreplikator entnahm ich Trinkwasser, zwei Bananen und etwas Schwarzbrot mit Käse. Ich verstaute Nahrung und Kamera im Rucksack und verzichtete auch diesmal nicht auf den Zeichenblock. Ich wollte den Steilhang hinab steigen, um den Wald mit seinen farbwechselnden Blättern zu erkunden, den ich während des Regens bemerkt hatte. Ich folgte dem Hang ungefähr zehn Minuten linker Hand als ich halb versteckt hinter einem Gebüsch eine Art Treppe aus Felsgestein bemerkte. Die Steine waren unbehauen und der Weg wirkte als hätte ihn jemand eher zufällig in die Landschaft gekippt. Plingend stieg ich die ersten Stufen hinab, bevor ich das Flug-Taxi sah, das silbrig und geräuschlos am Horizont Richtung Süden flog. Ich hatte vergessen - wollte vergessen -, dass ich auf diesem Planeten nicht alleine war und es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis ich seinen Bewohnern begegnen würde. Mich fröstelte. Ich erreicht das Tal mühelos nach ca. zehn Minuten Abstieg. Die Bäume, die ich von oben gesehen hatte, hatten schlanke, weiße Stämme und trapezförmige, hellgrüne Blätter an dem nichts Ungewöhnliches auszumachen war. Ich griff in meinen Beutel und entnahm meine Trinkflasche. Vorsichtig träufelte ich ein paar Tropfen Flüssigkeit auf ein Blatt und sofort begann es, seine Farbe zu wechseln. Gleichzeitig wuchs neben dem Blatt in Windeseile eine kleine, haarige, lila Frucht. Ich wusste, dass es ein unverantwortliches Risiko war, aber rasch pflückte ich sie und steckte sie in den Mund. Sie war köstlich! Wie Granatapfel mit Honig. Ich tropfte noch einmal etwas Flüssigkeit auf ein Blatt, doch diesmal wuchs eine völlig andere, eine glatte, braun-goldige Frucht und als ich sie in den Mund steckte, schmeckte ich Schokolade. Mir kam zu Bewusstsein, dass es schlimme Folgen haben würde, sollte ich mich hier länger aufhalten. Und so tröpfelte ich nur noch zwei Blätter und wickelte die Früchte (türkis-lila gestreift und gelb-fellig) in ein Papiertaschentuch und wollte mich daran machen, wieder nach oben zu gelangen. Da fiel mein Blick auf den Boden vor mir. Irgendjemand hatte dort (s)einen Beutel liegen gelassen. Ich drehte mich nach allen Seiten, aber ich konnte niemanden entdecken. „Hallo?“, rief ich in den Wald hinein, aber um mich herum blieb alles still. Seltsam still, wie ich erst jetzt bemerkte. Der Wald selbst gab kein Geräusch von sich, weder von der Bewegung von Tieren, noch vom Wind, der durch die Blätter streift. Wieder fröstelte es mich und ich hielt den Atem an. Panik überkam mich, ich griff den Beutel und hechtete den Felsen-Fad zurück zur Kapsel. Achtlos warf ich den Beutel in die Ecke und mich auf das Bett bis sich meine Atmung wieder beruhigt hatte. Ja, ich werde den Beutel öffnen. Aber nicht heute.