Die Echsenvögel
Das grundsätzliche Problem bei all diesen Science-Fiction-wir-fliegen-ins-Weltall-Geschichten ist, dass sie voller technischer Spielzeuge und gefährlicher Gegner sind, aber einem im Endeffekt nicht die Wahrheit sagen. Die Wahrheit ist, dass jeder, der die Erde verlassen hat, dies nur aus einem einzigen Grund getan hat, nämlich: Die Lage wurde unerträglich. Was mich betrifft kann ich dies sowohl über meine persönliche als auch über die politische sagen. Seit gut einem Jahr schaukeln sich die politischen Lager, die im Rahmen der großen Wanderungsbewegungen entstanden sind, gegenseitig hoch. Übrig geblieben ist ein irres Gemisch aus Sprechverboten, Überemotionalisierungen, Verdächtigungen, Abwertungen, Bedrohungen und allem, für das es eigentlich keinerlei Beschreibungen mehr gibt. Ich weiß auch nicht, wer es dann war, der mich niederschlug. Ich wusste nur: Es ist Zeit für die Kapsel. Und das Persönliche? Ich bin nicht gut in sowas. Und Aufmerksamkeit auch nicht gewöhnt.
Passend zur Stimmung regnet es seit zwei Tagen ohne Pause. Ich habe die Kapsel nur kurz verlassen, um mich zu vergewissern, dass der Regen tatsächlich grün ist. Er ist es. Eine kurze chemische Analyse bestätigt mir die Trinkbarkeit und so beschloß ich, Eiswürfel aus dem Regenwasser zu machen. Grün die Würfel, braun der Whiskey. Nun sitze ich mit dem Glas über den Zeichnungen der letzten Woche und der Nahrungsreplikator summt hinter meinem Rücken. Ich habe Pläne gemacht. Ich werde ein Enzyklopädie des Planeten erstellen. Nicht, dass nicht alle Daten schon in den üblichen Datenbanken verfügbar wären, aber ich will den Dingen meine subjektive Sichtweise geben und sie in meinem Sinne ordnen, wobei allein der Zufall mich leiten und die Neugierde die Tiefe der Beobachtungen bestimmen soll. Zunächst will ich mich der Planzen- und Tierwelt widmen, konnte ich dort doch schon einige Beobachtungen machen. Gestern morgen landete einer der Echsenvögel, die ich bereits am See beobachten konnte, an der Hinterseite der Kapsel. Ich verhielt mich ruhig und schaffte es, ein Foto zu schießen. Eine Zeichnung füge ich später bei. Die Echsenvögel sind ca. 30 cm lang und fliegen - ähnlich den Fledermäusen - in zackigen Linien. Meist gegen Mittag ziehen Sie von Westen her über das Blauschiefermassiv. Wo ihre Reise endet ist mir nicht bekannt, doch kehren sie bereits am frühen Abend aus umgekehrter Richtung zurück. Ihr Gefieder ist schwarz-braun und sie verfügen über einen langen Schwanz, weshalb ich sie in Anlehnung an den Flugsauriers „Bellubrunnus“ „Bellonegro volant“ nennen werde. Ich habe, wenn ich ehrlich bin, keine Ahnung von Latein und auch nicht davon, Tiere ordentlich zu Systematisieren. Mir kommt ein Lächeln als ich an A. denke, einen Biologen, dem dies hier sicher nicht gefallen würde. So schnell wie das Lächeln kam, verfinstere ich mich. Ich habe sie nicht vergessen. Terra negro. Mens negro. Alte Erde. Bellonegro volant ernährt sich von Insekten. Ob die roten Käfer, die ich bei meinem ersten Ausflug entdeckte auch dazu gehören, weiß ich nicht. Ich werde trotz Regen noch einmal zum Blauschiefermassiv gehen, um ein paar von ihnen für ein Futterexperiment einzufangen.
Später: Der Ausflug war umsonst. Zumindest was die Käfer betrifft. Ich weiß nicht, ob die Käfer sich bei Regen in tiefere Gesteinsschichten zurückziehen, jedenfalls half kein tiefes Spähen in Ritzen und Löcher. Dafür machte ich eine beeindruckende Entdeckung. Das bewaldete Stück Land unterhalb des Steilhanges unterliegt bei Regen einem beeindruckenden Farbwechsel. Es schien als ließe der Regen die Blätter der Bäume sich abwechselnd von grün über blau, türkis und gelb bis schneeweiß kleiden. Das ganze innerhalb eines Zeitraumes von vielleicht fünf Minuten. Die Bäume verharrten dann ebenfalls fünf Minuten in dem weiß bis sich die Farbgebung in umgekehrter Reihenfolge vollzog. Ich traute mich nicht weiter an den Steilhang heran, zumal ich bei Trockenheit noch keinen Weg entdeckt hatte über den ich von dort aus in das Tal gelangen konnte. Und der Regen geht mir auf die Nerven. Ich werde es in einer Stunde nochmal versuchen.
Noch später: Der Regen ist unverändert, doch wechselten diesmal die Blätter von rot über lila nach blau. Ich werde an einem trockenen Tag hinab in das Tals steigen und den Bäumen auf den Grund gehen. Bis dahin sollen sie „Arbor arcanum“ heißen.
wilhelm peter
cara lara vola :)