(m.o.n.d.) geschichten

Die Höhle

Ich hatte mich an die Bordbibliothek gemacht und mit den Tagebuchaufzeichnungen von Erich Mühsam begonnen. Am 22. August 1910 heißt es darin:

Unsre Zeit ist bei Gott nicht minder armselig, unsre Regierungen nicht minder jämmerlich, unsre Politik nicht minder chikanös, knechtschaffen und vormärzlich. Nur eins unterscheidet unsre Tage von Varnhagens: heut ist auch das Volk interesselos, und die Geistigkeit nimmt schon garnicht teil an allem was vorgeht! – Ich werde in dies Tagebuch nicht viel Zeitprophetisches zu vermerken haben.

Es ändert sich also nichts. Gar nichts. Aber das Lesen gab mir einen roten Faden. Der Oktant hatte meinen Körper zur Ruhe kommen lassen, dafür verspottete mich mein Herz nun umso hämischer.

Während meines Aufenthaltes hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, täglich eine Stunde zu schwimmen. Als das Wetter gegen Mittag besser wurde, machte ich mich auf den Weg. Am See angekommen stieg in das Wasser und tauchte wie üblich eine Zeit lang am Seegrund entlang. Diesmal fiel mir unter Wasser eine Art Eingang im Felsen auf, den ich bisher übersehen hatte. Ich schwamm nach oben, um meine Lungen mit Sauerstoff zu füllen und tauchte anschließend in den Eingang hinein. Er verlief circa drei Meter schlauchartig in den Felsen, weitete sich dann und mündete in einer zehn mal zehn Meter breiten unterirdischen Höhle, die von außen nicht zu sehen war. Die Höhlendecke war über und über mit Kristallen bedeckt, die in einem künstlichen Licht funkelten, von dem nicht klar wurde, woher es kam. Auf den Kristallen saßen kleine Schmetterlinge mit vier Flügeln und gaben einen leisen Summton von sich. Um mich herum im Wasser streiften mich bunte Wasserschlangen mit zwei Köpfen. Auf der gegenüberliegenden Seite führte eine Steintreppe aus dem Wasser und hinter einem Torbogen befand sich eine weitere Höhle. Diese war im Gegensatz zur letzteren karg und schmucklos. In der Mitte befand sich ein Art Altar, der rund und mit roten Samt bezogen war. Es war nicht ersichtlich, was hier stattfand. Es befanden sich keine Gegenstände auf dem Altar und ich konnte auch in den Ecken und Winkeln der Höhle nichts ausmachen, was auf eine Zeremonie hindeutete. Ich wollte grade wieder ins Wasser steigen als ein brummender, ansteigender Ton aus dem Fußboden der Höhle kam. Ich dreht mich um und der Altar klappte auseinander und aus seiner Mitte fuhr ein kleiner, schwarzer Kasten nach oben. Ich fühlte mich beobachtet, trotzdem wollte ich den Kasten öffnen. Ich schlich um ihn herum, konnte aber keinen Mechanismus entdecken. Schlussendlich griff ich einfach danach - und zuckte zusammen. Wem immer dieser Kasten gehörte, er hatte ihn mit Strom vor unbefugtem Zugriff gesichert. Warum aber präsentierte er sich dann so ungeniert? Während ich um mich blickte fiel mein Blick auf den Torbogen durch den ich gekommen war. An einer Stelle war ein Auge eingeritzt, dessen Iris ein leuchtender Kristall bildete. Es erschien mir zu einfach, trotzdem berührte ich die Iris und tatsächlich - der Kasten öffnete sich. In ihm lag ein Samtbeutel und in diesem befand sich - sehr zu meinem Ärger - ein weiterer Haufen mit silbernen Wörtern. Ich nahm den Beutel an mich und stieg wieder in das Wasser.